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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 11.04.2024:

„Der Klimarat ist das Herzstück des Projekts.“

Das Bildungsprojekt „Road to klimaneutrale Schule“
Das Bild zum Artikel
Bildrechte: Hannah Strobel

Das Projekt „Road to klimaneutrale Schule“ bringt die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit in die Schulen und befähigt Schüler*innen an sechs weiterführenden Schulen in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, Klimaschutzmaßnahmen an ihrer Schule zu identifizieren und umzusetzen. Die Online-Redaktion von „Bildung + Innovation“ sprach mit Projektleiterin Hannah Strobel über die Ziele des Projekts, den Klimarat und wie wichtig es ist, dass Kinder und Jugendliche einen Ort haben, wo sie demokratische Praxis und Selbstwirksamkeit lernen.

Online-Redaktion: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Klimaschutzprojekt an Schulen durchzuführen?

Strobel: Gemeinsam mit Sarah Mewes, Jonas Bothe und Tanja Brumbauer habe ich vor drei Jahren „NELA. Next Economy Lab“ gegründet. Dort realisieren wir Projekte in den Bereichen zukunftsfähiges Wirtschaften und zukunftsfähige Gesellschaft. Schwerpunkte sind nachhaltige Kommunen, wozu auch die Themen nachhaltige Schule, nachhaltige Unternehmen sowie Just Transition gehören. Wir waren zu der Zeit sehr jung und fühlten uns der Fridays for Future-Bewegung noch recht nah. Aus der Überlegung heraus, wie man die Themen von Fridays for Future ins Klassenzimmer bringen könnte, ist das von der Heidehof Stiftung geförderte Projekt „Road to klimaneutrale Schule“ entstanden. Wir wollten den Schüler*innen mit dem Projekt die Möglichkeit geben, einen positiven Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

Online-Redaktion: Welche Ziele verfolgt „Road to klimaneutrale Schule“?

Strobel: Mit dem Bundes-Klimaschutzgesetz hat Deutschland ein Emissionsminderungsziel für Treibhausgase sowie ein System der Klimaschutzplanung eingeführt. Bis 2030 müssen die deutschen Treibhausgasemissionen um mindestens 65 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden. „Road to klimaneutrale Schule“ ist ein Bildungsprojekt, das Schulen begleitet und dabei unterstützt, ihren Weg zur Klimaneutralität zu bestreiten. Schüler*innen, Lehrer*innen, Schulleiter*innen und interessierte Eltern bekommen von uns Klimaschutzwissen und -werkzeuge und lernen im Projekt eigenständig, CO2-Emissionen zu messen, zu beurteilen und Klimaschutzmaßnahmen auszuwählen und umzusetzen.

Online-Redaktion: Wie lange läuft das Projekt schon?

Strobel: Das Projekt ist im Jahr 2021 gestartet. Wir begleiten seitdem in zwei Zyklen sechs Schulen in Nordrhein-Westfalen (NRW) und Baden-Württemberg jeweils zwischen ein bis zwei Jahren. Pro Schule haben wir vier ein- bis zweitägige Workshops in Präsenz durchgeführt. Zwischendurch gibt es noch virtuelle Coachings, zum Beispiel mit Klimaschutzmanager*innen etc.

Online-Redaktion: Wie können sich die Schüler*innen im Rahmen des Projekts für mehr Klimaschutz an ihrer Schule einsetzen?

Strobel: Die Schüler*innen messen zunächst die CO2-Emissionen an ihrer Schule in den Bereichen Mobilität, Energie, Wärme, Schulhof, Ernährung, Beschaffung und Unterricht mit dem Schools-For-Future Tool . In diesen Bereichen werden dann auch Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt. Welche Maßnahmen das sind, diskutieren und entscheiden sie im sogenannten Klimarat, den es an jeder beteiligten Schule gibt und in dem ein bis zwei Schüler*innen aus jeder Klasse der Schule vertreten sind. Hier werden Maßnahmenideen gesammelt, bewertet und schließlich ein Maßnahmenkatalog erstellt. Der Beratungs- und Abstimmungsprozess im Klimarat ist sehr demokratisch, was sehr entscheidend für das Projekt und für die Selbstwirksamkeit der Schüler*innen ist. Selbst entscheiden und gestalten zu können, ist für alle ein wichtiges Gefühl. Der Klimarat ist das Herzstück des Projekts und wird auch von Lehrer*innen, Eltern und der Kommunalverwaltung unterstützt.

Online-Redaktion: Wie geht es weiter, nachdem über Maßnahmen im Klimarat abgestimmt wurde?

Strobel: Nach der Abstimmung werden Projektteams zu den einzelnen Maßnahmen gebildet und ein Umsetzungsplan festgelegt. Die Lehrkräfte, einige Eltern und wir von NELA helfen als professionelle Unterstützer*innen bei der Umsetzung. Es ist wichtig für die Schüler*innen, Unterstützung von Erwachsenen zu erhalten, weil sie ihre Ressourcen oft überschätzen. Nach Umsetzung der Maßnahmen werden diese evaluiert und die nächsten Maßnahmen in Angriff genommen. Parallel bieten wir den Lehrer*innen und Schüler*innen individuelle Coachings an, damit sie die Klimaschutzwerkzeuge bzw. das Thema Klimaschutz in ihren Unterricht besser einbinden können. Dazu gibt es auch eine Methodensammlung und eine Handreichung, die sie kostenfrei auf unserer Projektwebseite herunterladen können.

Online-Redaktion: Können Sie Beispiele für konkrete Klimaschutzmaßnahmen an den Schulen nennen?

Strobel: Die größten Verursacher von CO2-Emissionen in der Schule sind Heizung und Dämmung. In vielen Schulen läuft die (Öl-)Heizung das gesamte Jahr durch, auch im Sommer. Es ist deshalb meistens eine Herzensangelegenheit vieler Schüler*innen, die Heizung auszutauschen. Das war auch eine der Maßnahmen, der sich eine Schule in Pulheim angenommen hat. Sie haben mit Hilfe eines Elternteils Daten ermittelt, aus denen hervorging, dass es ökologisch und finanziell viel kostengünstiger ist, die Heizung im Sommer abzustellen. Daraufhin haben sie einen Gemeinderatsantrag bei der Stadt gestellt, der den Heizungsaustausch forderte. Aus politischen Gründen wurde dieser abgelehnt. Die Schüler*innen haben deshalb den WDR eingeladen, um die öffentliche Aufmerksamkeit für ihr Vorhaben zu bekommen. Nachdem ihnen die Drehgenehmigung entzogen wurde, haben sie sich trotzdem mit Reporter*innen des WDR vor der Schule getroffen. Durch den medialen Druck wurde die Stadt letztendlich dazu bewogen, die Heizung zumindest im Sommer abzustellen. Das ist ein toller Erfolg und ein wunderschönes Beispiel für dieses projektbasierte Bildungsprojekt! Schüler*innen lernen, in dieser Transformation, auf diesem Weg Richtung Klimaneutralität, mit Widerständen und Ambivalenzen umzugehen, ihre Ziele neu zu justieren, weiterzumachen und nicht aufzugeben. Indem sie diese Lernerfahrung machen, sind sie gewappnet, in eine Zukunft zu gehen, die von multiplen Krisen begleitet wird.

Online-Redaktion: Beeindruckend! Welche weiteren Maßnahmen gibt es an den Schulen?

Strobel: Weitere Beispiele sind Fahrradreparaturstationen, das Bauen von Wildbienenhäusern oder die Umstellung der Schulmensa auf vegane Ernährung.

Online-Redaktion: Mit welchen Methoden unterstützen Sie die Schüler*innen dabei, ihre Aktionen zu organisieren und durchzuführen?

Strobel: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Schüler*innen Klimakrise und Klimaschutz besser verstehen, wenn sie sie ganzheitlich erfahren, d.h. auf einer emotionalen, körperlichen und geistigen Ebene. Vor allem in der Einführungsphase haben wir - wir sind alle ausgebildete Nachhaltigkeitswissenschaftler*innen - oft mit den Jüngeren Klimaexperimente durchgeführt, die Klimakrise dargestellt und simuliert, wie sich die Erde anfühlt, wenn sie ganz warm wird. In der Umsetzungsphase unterstützen wir die Schüler*innen insbesondere in der Kommunikation mit Behörden, beim Gemeinderatsantrag oder in der medialen Verbreitung ihrer Maßnahmen. Wir helfen auch bei der Planung und Ausführung der Maßnahmen wie dem Anbau einer Photovoltaikanlage.

Online-Redaktion: Wird nach Projektende durch den Klimarat gewährleistet, dass an den Schulen weiterhin Klimaschutzmaßnahmen ergriffen werden?

Strobel: Ja, genau. In allen sechs Schulen wird der Klimarat in unterschiedlicher Form weitergeführt und initiiert weiterhin Maßnahmen. In drei Schulen in NRW wurde als Ergebnis der Maßnahme, Klimaschutz in den Unterricht zu integrieren, Klimaschutz bzw. Nachhaltigkeit sogar als Wahlfach in der 9. und 10. Klasse eingeführt.

Online-Redaktion: Auf welche Hürden und Schwierigkeiten stoßen die Schüler*innen bei der Umsetzung?

Strobel: Schulen liegen meist in städtischer Hand und wann eine Schule renoviert und gedämmt wird, wird von den Kommunen streng geregelt. Da sind den Schüler*innen die Hände gebunden, was herausfordernd sein kann. Eine zweite Herausforderung ist die knappe Zeit der Schüler*innen und Lehrer*innen. Lehrkräfte engagieren sich meist ehrenamtlich im Projekt, ohne dafür freigestellt zu werden, was man ihnen hoch anrechnen muss. Schüler*innen haben lange Unterricht, Hobbys oder andere AGs. Auch der finanzielle Rahmen ist begrenzt und viele Maßnahmen sind einfach teuer.

Online-Redaktion: Was verläuft gut?

Strobel: Gut läuft die demokratische Ausgestaltung des Klimarats: Die Lehrer*innen und Eltern sehen sich als Unterstützer*innen, nicht als Leiter*innen. Die Schüler*innen geben die Richtung vor und entscheiden demokratisch, was sie umsetzen möchten. Sie lernen dabei Aushandlungsprozesse zu führen und konstruktiv zu diskutieren. Positiv zu verzeichnen ist auch der Multiplikator*inneneffekt. Die Schüler*innen erzählen ihren Freund*innen und Eltern von den Maßnahmen, die sich dann gerne an den Aktionen beteiligen. „Road to klimaneutrale Schule“ erhält eine große mediale Aufmerksamkeit - u.a. macht Teachers for Future Werbung für den Klimarat - so dass jetzt auch viele andere Schulen Interesse daran zeigen, den Klimarat einzuführen. Deshalb bieten wir unsere Methoden und Anleitungen frei verfügbar auf der Projektwebseite an.

Online-Redaktion: Soll das Projekt in Zukunft auch auf andere Schulen und Bundesländer ausgeweitet werden?

Strobel: Schüler*innen und Schulen zeigen ein extrem hohes Interesse an dem Thema. Wir bekommen immer noch sehr viele Anfragen, haben aber zurzeit keine finanziellen Kapazitäten mehr. Mein Anliegen ist es, in diesem Jahr noch so viele Lehrer*innen und Schulen wie möglich mit unseren Methoden und mit der Idee des Klimarats zu erreichen, damit er von möglichst vielen Schulen eingeführt wird. Wir haben mit dem Klimarat einen Ort der Gemeinschaft geschaffen, in dem demokratische Praxis vermittelt wird. Kinder brauchen einen Ort, wo sie selbstwirksam werden und aktiv etwas bewirken können. Alle Schüler*innen in dem Projekt „Road to klimaneutrale Schule“ waren die ganze Zeit über extrem motiviert. Das zeigt, wie wichtig das Projekt für junge Leute ist und wie wichtig es ist, dass wir Schule zu einem Ort machen, wo Klimaschutz umgesetzt wird.


Hannah Strobel ist Soziologin im Bereich Nachhaltigkeit und Transformationsstrategien und Gründerin von vier nachhaltigen Organisationen. Mit über fünf Jahren Erfahrung als Facilitatorin von co-kreativen Prozessen, Moderatorin von Workshops und als Design-Thinking-Expertin gestaltet sie partizipative Prozesse zum Thema sozial-ökologische Transformation.

 

 

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 11.04.2024
© Innovationsportal

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