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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 24.08.2023:

„Es lohnt sich, Schüler*innen zu fragen und einzubinden.“

Schüler*innen machen Vorschläge für das Lernen in der Zukunft
Das Bild zum Artikel
Bildrechte: Dr. Melanie Verhovnik-Heinze, Dr. Juliane Grünkorn

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt „enorM: Lernen von (ÜBER)MORGEN - Wie wollen wir in Zukunft lernen?“ war Teil des Wissenschaftsjahrs 2022 - Nachgefragt! und wurde von Kommunikationsexpert*innen des DIPF| Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt am Main durchgeführt. Im Rahmen des Projekts wurden Schüler*innen aufgefordert, ihre Sicht auf das Lernen (in der Zukunft) zu äußern und ihre Fragen und Ideen mit Wissenschaftler*innen zu diskutieren. Die Online-Redaktion von „Bildung + Innovation“ sprach mit Dr. Juliane Grünkorn und Dr. Melanie Verhovnik-Heinze vom DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation über die Ergebnisse des Projekts.


Online-Redaktion: Sie haben sich beim Wissenschaftsjahr 2022 - Nachgefragt! mit dem Projekt „enorM“ beworben, um von Schüler*innen zu erfahren, wie sie sich das Lernen in Zukunft vorstellen und ihnen eine Plattform zu geben. Wie haben die Schüler*innen das Angebot angenommen?

Grünkorn: Das Interesse und die Motivation der Schüler*innen, sich an den verschiedenen Veranstaltungen zu beteiligen, die wir im Rahmen des Wissenschaftsjahrs zum Thema „Lernen der Zukunft“ angeboten haben, war sehr hoch. Dies zeigt u. a. die Anzahl an Fragen, die wir in der vom Wissenschaftsjahr ausgerufenen „Mobilisierungsphase“ (zwei Monate) über unsere Webseite und vor Ort-Besuche an sechs Schulen im ländlichen und städtischen Raum eingesammelt haben: Insgesamt 487 Fragen zum Lernen in der Zukunft haben uns erreicht.

Einsammeln der Fragen vor OrtDas Einsammeln der Fragen vor Ort

Online-Redaktion:
Können Sie Beispiele nennen?

Grünkorn: Die Schüler*innen wollten zum Beispiel wissen, wann sich Schulen von viereckigen Klassenräumen verabschieden, ob die Teilung des Schulsystems in der jetzigen Form Sinn mache und ob nicht andere (bessere) Formen von Beurteilungssystemen (anstelle von Noten) eingesetzt werden sollten. Die Schüler*innen wünschten sich zudem vielfach einen Unterricht, der sie besser als bisher auf das Leben vorbereitet und mehr Unterstützung bzw. Entlastung für Lehrkräfte, damit diese sich besser auf den Kern ihrer Arbeit konzentrieren können. Die Fragen geben einen Einblick darin, wie reflektiert Schüler*innen sind und dass sie sehr konkrete Ideen haben, wie sie sich das zukünftige Lernen vorstellen. Ihre Fragen und Vorschläge waren sehr durchdacht und ihnen war dabei auch bewusst, dass sich nicht alles von heute auf morgen ändern kann, sondern dass es manchmal auch etwas Vorlauf braucht bzw. finanzielle und/oder personelle Anstrengungen benötigt werden.
Die eingesammelten Fragen wurden vom Projektteam für die weitere Bearbeitung in sechs Themenfelder geclustert: „Digitalisierung“, „Wohlfühlen und Schulleben“, „Neue Fächer und Fähigkeiten“, „Neue Lehrkräfte“, „Individuelles Lernen“ und „Neue Lernorte“.

Online-Redaktion: Sie haben gegen Ende der Mobilisierungsphase ein Camp veranstaltet. Worum ging es dabei?

Verhovnik-Heinze: Das Camp markierte das Ende der Mobilisierungsphase und den Start der sogenannten Interaktionsphase, in der wir die Fragen gemeinsam mit Schüler*innen bearbeitet haben. Weil wir so viele Fragen bekommen haben, haben wir mithilfe des Camps bei den Schüler*innen nach ihren Prioritäten gefragt. Dazu haben wir uns die drei am stärksten besetzten Themencluster „Digitalisierung“, „Individuelles Lernen“ sowie „Neue Fächer und Fähigkeiten“ genau angeschaut und die dazu eingereichten Fragen mit den Teilnehmer*innen diskutiert und priorisiert. Ziel war es, die für die Kinder und Jugendlichen wichtigsten Fragen zu finden, um sie anschließend in den weiteren geplanten Formaten, der Podcast-Reihe, dem Hackathon und der „Book a Question“-Reihe, mit Forschenden zu bearbeiten.

Online-Redaktion: Wie verlief das Camp?

Verhovnik-Heinze: Das Camp dauerte drei Stunden und fand an einem Samstagvormittag im April 2022 digital statt, weil wir es aufgrund der Corona-Pandemie nicht sicher in Präsenz durchführen konnten. Insgesamt haben neun Schüler*innen teilgenommen, die von einem externen Moderator und dem DIPF-Team begleitet wurden. Das Camp verlief sehr erfolgreich und wir sind jeweils mit den Top-Fragen rausgegangen, wie wir es uns gewünscht hatten. Für die folgenden Formate haben wir aber das Konzept geändert, da es sich als schwierig herausgestellt hat, genügend Teilnehmer*innen außerhalb der Unterrichtszeit zu finden. Die weiteren Formate haben wir deshalb mit kooperierenden Schulen vor Ort während der Schulzeit durchgeführt, was sehr gut angenommen wurde.

Online-Redaktion: Wie haben Sie die Schüler*innen in den anderen Formaten mit den Wissenschaftler*innen zusammengebracht?

Verhovnik-Heinze: Wir verfügen am DIPF| Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation über einen großen Pool an Expert*innen. Anhand der priorisierten Fragen und dem gewählten Format haben wir dazu passende Wissenschaftler*innen gesucht, die sich in ihrer Forschung mit passenden Fragen beschäftigen. Zwei Schülerinnen, die auch bei dem Camp dabei waren, haben die Podcast-Reihe gestartet, und unsere Kollegin aus dem Referat Kommunikation hat dazu passende Wissenschaftler*innen aus dem DIPF gefunden, die mit den Schülerinnen zusammen das Gespräch geführt haben. Das gleiche Verfahren haben wir für die „Book a Question“-Reihe angewendet. Schüler*innen der 8. oder 9. Klassen von kooperierenden Schulen und ihre Lehrkräfte konnten sich ein Thema bzw. Fragen aussuchen und haben diese in einer digitalen Schulstunde mit passenden Wissenschaftler*innen aus unserem Institut diskutiert. Den Hackathon haben wir im Rahmen einer Projektwoche an einer Frankfurter Schule durchgeführt. In vier themengeleiteten Sessions haben sich insgesamt 28 Schüler*innen, fünf Lehrkräfte, sieben Expert*innen vom DIPF sowie das enorM-Team ausgetauscht und Ideen zum Lernen von morgen entwickelt.

Hackathon-Moderator Nico Brugger
Nico Brugger, Moderator des Hackathons


Online-Redaktion: Wie verlief der Austausch?

Verhovnik-Heinze: Der Austausch war unserer Evaluation zufolge ein sehr fruchtbares Geben und Nehmen. Wir haben von den Schüler*innen sehr gutes Feedback zu den Formaten und auch zu den beteiligten Wissenschaftler*innen bekommen. Ebenso haben unsere Kolleg*innen vom Institut berichtet, dass sie von den Schüler*innen Gedankenanstöße und Anregungen bekommen haben. Unser Projekt war ja als Transfer- und Kommunikationsprojekt ausgerichtet, wohingegen viele Forschende Schüler*innen ansonsten vor allem als Proband*innen erleben. Sich gemeinsam zu vielfältigen Fragen und Ideen auszutauschen, das war auch für sie eine gewinnbringende Erfahrung.

Online-Redaktion: Geplant war im Rahmen des Projekts auch die Erstellung eines Serious Games. Wie hat die Entwicklung des Spiels gemeinsam mit den Jugendlichen funktioniert?

Verhovnik-Heinze: Sehr gut. Wir haben auf einem Workshop Ende April 2022 mit der Spielentwicklung gestartet. Eine beteiligte Agentur und unser Projektteam vom DIPF haben vor Ort an einer kooperierenden Schule zusammen mit einer achten Klasse an einem Vormittag drei Stunden lang die Spielinhalte und das Konzept entworfen. Der Workshop hat sehr entscheidende Impulse geliefert und wir konnten wesentliche Elemente in einem ganz frühen Stadium direkt an der Zielgruppe testen. Im September haben die Jugendlichen dann die von der Agentur in der Zwischenzeit erstellte Testversion ausprobiert und uns nochmal wichtige Impulse für die Überarbeitung geliefert.

Online-Redaktion: Wie wird es gespielt und welche Inhalte sind eingebunden?

Verhovnik-Heinze: Das Spiel heißt „NewSchoolTools“ und die Spielumgebung besteht aus einem Labyrinth mit insgesamt sechs Leveln, analog zu den sechs Themenclustern. In jedem Level gibt es Tetris- oder Puzzleaufgaben, die man in einer bestimmten Zeit schaffen muss und die von Level zu Level schwieriger werden. Hat man ein Level erfolgreich durchlaufen, kann man sich zur Belohnung eine von sechs Ideen passend zum Themenfeld aussuchen und sie in den virtuellen Schulranzen packen. Damit läuft man weiter durch das nächste Level, erledigt neue Aufgaben, holt sich neue Belohnungen und so weiter. Es sind in jedem Level mehr als sechs Ideen vorhanden, so dass man das Spiel öfter spielen kann. Wenn man alle sechs Level geschafft hat, werden die eingesammelten Ideen aus dem Schulranzen präsentiert. Die Ideen im Spiel sind im Übrigen die Quintessenz aus den im Projekt stattgefundenen Formaten wie dem Hackathon, der Podcast-Reihe und der „Book a Question“-Reihe. Wer nach dem Spielen zurück zur Website www.lernen-von-morgen.de will, kann das einfach über den eingeblendeten Link tun. Hier finden sich auch die Ergebnisse der anderen Projektformate, also die „Visual Recordings“ aus unserem Hackathon und die entstandenen Podcasts.

Visual Recording der Hackathon-Session
Visual Recording der Hackathon-Session „Emotionale und mentale Gesundheit"

Online-Redaktion:
Kann man das Spiel im Unterricht einsetzen?

Verhovnik-Heinze: Genau dafür ist es gedacht. Die Spieldauer ist überschaubar und man könnte es beispielsweise als Startpunkt für eine Diskussion zum Thema „Lernen von morgen“ nutzen.

Online-Redaktion: Wie ist die Resonanz auf das Projekt „enorM“?

Verhovnik-Heinze: Die Ergebnisse sind bei vielen Akteur*innen auf großes Interesse gestoßen. Wir haben Anfragen aus der Politik, aus der Administration, von Stiftungen und aus der Forschung bekommen und waren bzw. sind mit den unterschiedlichen Adressat*innen im Gespräch. Unser Ziel war es dabei immer, die Ideen der Schüler*innen weiterzutragen und die Adressat*innen für die Ideen der Schüler*innen zu sensibilisieren. Das haben wir den Schüler*innen versprochen und das konnten wir bisher auch sehr gut umsetzen.

Grünkorn: Insgesamt haben wir vier Interviews gegeben, vier Vorträge gehalten, zwei davon auch international, zwei Workshops durchgeführt und ein internationales Paper veröffentlicht. Wir haben noch einen Sammelbandbeitrag eingereicht; weitere Aktivitäten sind in Planung. Es freut uns sehr, dass ein so großes Interesse an diesem Thema besteht. Indem wir den Fragen und Vorschlägen der Schüler*innen in den Vorträgen, Interviews etc. Raum geben und sie dort kommunizieren, geben wir ihnen zusätzlich eine Plattform. Wir werben dabei auch immer dafür, den Mut aufzubringen, Schüler*innen direkt in die verschiedenen Aushandlungsprozesse und Diskussionen auf politischer und administrativer Ebene einzubeziehen. Schüler*innen wissen genau, was sie wollen und äußern viele konkrete Ideen, die nicht nur ihre eigene Schule betreffen, sondern das Bildungssystem insgesamt. So haben sie zum Beispiel eine klare Meinung zum Benotungssystem. Viele wünschen sich eine Beurteilung, die viel mehr ihre Stärken fokussiert. Es lohnt sich, Schüler*innen zu fragen und sie einzubinden. Das würde auch eine Brücke zwischen ihnen und der Politik schaffen und ggf. dazu führen, dass Entscheidungen getroffen werden, die nicht komplett an den Bedarfen und den Realitäten der Schüler*innen vorbeigehen.

Online-Redaktion: Gibt es über das Wissenschaftsjahr hinaus eine Möglichkeit für die Schüler*innen, sich mit ihren Ideen und Vorschlägen einzubringen?

Grünkorn: Viele Schüler*innen haben bereits danach gefragt, wie es mit unserem Projekt weitergeht und was mit ihren Ideen passiert. Wir haben nur begrenzten Einfluss darauf, ob die Ideen der Schüler*innen in der Politik umgesetzt werden und ob Schüler*innen zukünftig in politischen Aushandlungsprozessen Gehör finden und beteiligt werden. Allerdings können wir im Kleinen - gemeint ist an ihrer eigenen Schule - den Beteiligungsprozess von Schüler*innen unterstützen. So haben wir die Idee, unser erfolgreiches Hackathon-Format weiterzuführen und dadurch den Schüler*innen die Möglichkeiten zu geben, ihre Ideen zur Verbesserung ihrer Schule einzubringen. Wenn das gelänge, hätten Schüler*innen auch mehr das Gefühl, dass sie gehört und wahrgenommen werden, dass etwas passiert und nicht an ihren Bedarfen (zumindest an ihrer eigenen Schule) vorbei entschieden wird. Es ist wichtig, vor allem in diesen Krisenzeiten, nicht nur über Demokratie (und Beteiligung ist ein Element davon) etwas zu sagen, sondern es auch zu leben. Wir vom DIPF würden diesen Prozess gerne an den Schulen professionell begleiten.



Dr. Juliane Grünkorn leitet das Referat Kommunikation des DIPF, das sich u. a. um die interne und externe Kommunikation des Instituts kümmert. Sie beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Transfer im Bildungsbereich und insbesondere mit partizipativen Ansätzen und Wirkindikatoren. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Kommunikationsprojekt „enorM: Lernen von ÜBER(MORGEN) - Wie wollen wir in Zukunft lernen?“ hat sie verantwortet.

Dr. Melanie Verhovnik-Heinze ist ausgebildete Journalistin und Kommunikationswissenschaftlerin. Sie arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Referat Kommunikation am DIPF und hat dort im Juni 2023 die Transferservicestelle übernommen. Im BMBF-Projekt „enorM: Lernen von ÜBER(MORGEN) - Wie wollen wir in Zukunft lernen?“ war sie Projektkoordinatorin.

 

 

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 24.08.2023
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